„Nur wer optimal fit, schön, leistungsstark und anpassungsfähig ist, kann glücklich werden.“
Der Ursprung der Illusion:
Es erscheint logisch, dass ein schöner, leistungsfähiger und sozial intelligenter Mensch glücklicher ist als jemand, der in diesen und anderen Bereichen der „Selbstoptimierbarkeit“ Mängel aufweist. Wer sich ständig um Selbstoptimierung bemüht, übersieht jedoch, dass sein Streben nie unmittelbar auf Glücksgefühle gerichtet ist, sondern diese eher fernhält: Weil die Aufmerksamkeit stets auf einen Mangel gerichtet ist, der scheinbar erst behoben werden muss, ehe man für das Glück „reif“ ist, bleibt für das Glück selbst keine Aufmerksamkeit mehr übrig. Ein solcher Mensch übersieht nicht nur die vielen Dinge und Begegnungen des täglichen Lebens, die ihm glückliche Erlebnisse schenken könnten. Er übersieht auch die vielen subtilen Verstrickungen in destruktive mentale und emotionale Energien, denen er sich durch seine Einstellung ständig aussetzt. Er übersieht, dass er sich oft unmenschlich behandelt und vielleicht selbst hasst und dass er dadurch etwas ausstrahlt, was zwangsläufig das Glück von ihm fernhält. Glücksgefühle beruhen auf Großzügigkeit und Liebe, nicht auf Selbstkontrolle.
In einer Gesellschaft, die ganz auf Selbstkontrolle und Selbstoptimierung setzt ist das Glück ein derart flüchtiger innerer Zustand, dass die Menschen nicht mehr erkennen können, wie sie es ständig von sich fernhalten. Sie glauben also, Glücksgefühle müsse man sich hart erkämpfen oder „verdienen“, setzten also umso mehr auf Selbstoptimierung. Je mehr es im gesellschaftlichen Leben an Gemütlichkeit, Gelöstheit, Heiterkeit, Gelassenheit und Lebensgenuss fehlt, umso stärker hält die Illusion sich quasi selbst aufrecht. Im kollektiven Feld dominiert ein Mangel-Denken in Bezug auf Glück, das die Menschen zu einem aberwitzigen Konkurrenzkampf um das Glück antreibt. Allerdings geht es nicht um das Glücksgefühl selbst, das ja nicht fassbar oder objektivierbar ist, sondern um seine scheinbaren Voraussetzungen: Jeder Konkurrent bemüht sich, schöner, attraktiver, kompetenter, leistungsfähiger, eloquenter, makelloser, effektiver und so weiter zu werden als seine Mitmenschen. Dadurch glaubt er, die besten Möglichkeiten in Bezug auf Partnerschaft, Gesellschaft und Beruf für sich „ergattern“ zu können. Was er nicht bemerkt ist, wie sehr seine Unzufriedenheit seine Ausstrahlung und seine Kraft herabsetzt und wie negativ er auf andere wirkt, wenn er sich über ihre Qualitäten nicht freuen kann, sondern sie ihnen vergönnt.
Jeder Mensch zieht das an, was seiner Ausstrahlung entspricht – nicht das, was seiner sichtbaren Schönheit oder seinen faktischen Fähigkeiten entspricht. So wird ein Mensch, der sich zwanghaft selbst optimiert nur Menschen anziehen, die dies ebenso tun oder die seinen Selbstoptimierungswahn für ihre Interessen ausnutzen. Die einen wie die anderen werden ihn keinesfalls glücklich machen, sondern ihm nur vermitteln, dass er noch besser, schöner oder leistungsfähiger werden müsse. Wo mehrere Menschen aufeinandertreffen, die sich nicht lieben können, wird die Lieblosigkeit im zwischenmenschlichen Austausch potenziert. Das spürt man an allen Orten, an denen der „Wettkampf“ um das Glück ausgetragen wird. Natürlich gibt es bei diesem Kampf nur Verlierer, denn die ersehnten Glücksgefühle stellen sich nie ein – egal wie weit man auf der Skala auch voranschreitet oder andere übertrumpft. Wenn eine Einstellung stark im kollektiven Denken verankert ist, fällt fast niemandem mehr auf, wie irrational sie ist. Verständlich wird das Streben nach Selbstoptimierung, wenn man es im Zusammenhang mit den Grundängsten betrachtet:
Die Angst vor Haltlosigkeit kann dazu führen, dass man durch Wissen Sicherheit und Überlegenheit erlangen will. Je mehr Wissen durch Bildung und durch gesammelte Erfahrung „angehäuft“ wurde, umso besser glaubt man sich für alle Situationen des Lebens „gewappnet“. Dabei übersieht man, dass die Souveränität im Umgang mit sich ständig verändernden Situationen zum großen Teil von der inneren Haltung abhängt, von der Ruhe und Präsenz im Augenblick und nicht vom angesammelten Wissen. Wer sich ganz auf die Wahrnehmung des Augenblicks einlässt, kann auf seine Intuition und die Eindrücke seiner inneren Sinne zugreifen. Diese Fähigkeiten werden blockiert, wenn jemand sich übermäßig an erlerntes Wissen und frühere Erfahrungen klammert. So vergrößert sich die Unsicherheit und treibt ihn vielleicht in eine Konkurrenz-Spirale der Wissensoptimierung. Dann bemüht er sich ständig, mehr zu lernen und mehr Wissen anzuhäufen als jeder andere und verliert seine Spontanität und Lebensfreude. Vielleicht fühlt er sich sogar immer unsicherer, je mehr er weiß, denn umso mehr fällt ihm auf, dass es nie genug ist.
Um sich kompetent und souverän zu fühlen ist es nicht nötig, mehr zu wissen als andere. Eine Situation ganzheitlich intuitiv zu erfassen lässt sich trainieren und rückt eine andere Art von Wissen in den Fokus – das intuitive Wissen. Je besser man sich darauf einzustimmen lernt, umso mehr Leichtigkeit und Selbstvertrauen erlangt man und es wird deutlich, dass alles Faktenwissen von untergeordneter Bedeutung ist.
Die Angst vor Wertlosigkeit bringt oft einen Selbstverbesserungswahn hervor, der sich auf Schönheit (vor allem bei Frauen), Fitness (eher bei Männern) und andere Qualitäten bezieht, die mit Attraktivität verbunden werden. Das Problem an dieser äußerlich definierten Attraktivität ist, dass der Blick für das, was einen Menschen wirklich attraktiv und einzigartig macht, verloren geht. Beim Vergleich mit anderen reduziert man sich selbst auf ein austauschbares „Ding“, als sei man eine Ware. Wenn man sich selbst nicht mehr als seelisches Wesen in seiner besonderen individuellen Existenz wahrnimmt, kann man sich nicht für das wertschätzen, was man ist. Umso mehr fühlt man sich bedeutungslos und mangelhaft. Die Konzentration auf äußere Schönheit rückt stets Mängel in den Vordergrund, die es zu beseitigen gilt. Perfektion ist letztlich unerreichbar, was den Konkurrenzkampf nur noch härter und trauriger macht.
Die Lösung liegt in der Konzentration der Wahrnehmung auf eine höhere Ebene, die sich jenseits der „objektiven“ Attraktivitätskriterien befindet: Hier sind die spürbaren seelischen Qualitäten, die die wahre „Magie“ beziehungsweise die Ausstrahlung eines Menschen ausmachen. Was nützt es, wenn jemand schön wie eine Barbiepuppe ist, aber keine Ausstrahlung hat? An der Ausstrahlung kann man arbeiten, und dabei wird man ganz von selbst schöner und fitter. Wer seine inneren Qualitäten zum Vorschein bringt und seine Liebe zum Strahlen bringt, erlebt keine Frustrations- und Konkurrenzgefühle, sondern ein zunehmendes Gefühl für seinen Wert und seine Einzigartigkeit.
Die Angst vor Überforderung erzeugt oft ein unermüdliches Streben, die besten Problemlösungsstrategien zu erlernen und sein Wissen und Können so zu optimieren, dass man zum unübertrefflichen „Experten“ wird – in Bereichen, in denen es aber primär auf Kreativität und spontane Handlungskompetenz ankommt. So ist es aberwitzig, wenn man beispielsweise glaubt, man könne zum „Beziehungsexperten“ werden, indem man sich Unmengen theoretisches Wissen über Beziehungsproblemlösungsstrategien aneignet. In manchen Berufsständen ist diese Denkweise verbreitet, beispielsweise unter Psychologen. Doch wenn es um die eigenen Beziehungsprobleme geht, helfen ihnen all ihre angelernten Konzepte nicht weiter. Beziehungen sind nun mal kein „Fachgebiet“, und deshalb kann man dafür auch nicht zum „Experten“ werden. Genauso ist es mit anderen Auswüchsen des „Universalexpertentums“, etwa mit den „Wirtschaftsexperten“ oder den „Glücks-Experten“. Solchen universalen Themen kann man sich immer nur von einem individuellen Standpunkt aus nähern, und man kann immer nur einen Ausschnitt davon beleuchten – nämlich den Ausschnitt, der für einen selbst und die eigenen Wachstumsthemen gerade von Bedeutung ist. Indem man sich also individuell und kreativ mit bestimmten Beziehungsfragen, Wirtschaftsthemen oder philosophischen Fragen auseinandersetzt, erlangt man gerade die Einsichten und Kompetenzen, die einem selbst und den Menschen, mit denen man zu tun hat, weiterhelfen. Nur so entsteht letztlich Lebenskompetenz. Dadurch wird das konkurrenzorientierte Streben nach immer mehr „Know-How“ und immer besseren Konzepten überflüssig. Man erkennt, dass man weder sich selbst noch anderen Menschen zum Erfolg verhilft, wenn man die komplexen Herausforderungen des Lebens mit Theorien und Konzepten „bändigen“ will.
Der Umgang mit den allgemeinen Herausforderungen des Mensch-Seins verlangt nicht Wissen, sondern Offenheit und eine innere geistig-emotionale Lernbereitschaft. Durch diese Offenheit erlangt man eine höhere Erkenntnisebene, die jenseits der Ebene wissenschaftlicher Erkenntnis steht. Man erlangt die Einsicht, dass die Anwendung von Konzepten nur im Rahmen begrenzter praktischer Aufgaben sinnvoll ist. Vertrauen in die eigene Fähigkeit zur Lebensbewältigung erwächst aus innerer Klarheit, guter Selbstwahrnehmung und aus Kreativität und Intuition.
Die Angst vor Unzulänglichkeit erzeugt oft die Vorstellung, man müsse in möglichst allen Dingen, die einem wichtig sind, besser sein als die anderen. Wenn man ein besserer Liebespartner, ein besserer Mitarbeiter, ein besserer Zuhörer, ein besserer Beherrscher seines Fachgebiets werde als die allermeisten anderen, habe man gewisse Chancen auf seine Wunschbeziehung, seinen angestrebten Beruf, gute Freunde und Erfolg im Leben. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass die Ursachen für Probleme nur selten in einem Mangel an „Qualifikation“ liegen. Sie liegen hauptsächlich in alten unverarbeiteten traumatischen Erlebnissen, die es einem Menschen unmöglich machen, situationsgerecht zu handeln und sich selbst und andere richtig einzuschätzen. Wenn ein Mensch mit dieser Grundangst aufhört, seine Qualifikationen und Fähigkeiten zu optimieren und stattdessen beginnt, an seiner emotionalen Heilung und seiner Feinwahrnehmung zu arbeiten, wird er erleben, wie der Stress nachlässt und wie er ganz nebenbei all die Fähigkeiten erwirbt, die er zur Verwirklichung seiner Wünsche braucht. Diese Fähigkeiten sind keine Fähigkeiten im gewohnten Sinne, die man etwa mit einer Bewertungsskala erfassen könnte. Es geht eher um die Fähigkeit, die eigene Herzenergie zu spüren und in ihr zu ruhen, auch wenn es um einen herum turbulent zugeht. So erlangt man die Fähigkeit, in der eigenen Kraft zu ruhen und entsprechend zu handeln, anstatt von fremden Einflüssen herumgewirbelt oder gefangengenommen zu werden.
Wer sich selbst spüren und die eigene Energie fließen lassen kann, bleibt mit seinem Leben „im Fluss“ und kann so seine Wünsche immer besser verwirklichen. Das Gefühl der Konkurrenz, des Mangels an Unterstützung und an Gelegenheiten im Außen weicht einer mutigen „Selbstermächtigung“ und der Erkenntnis, dass die wahre Kompetenz in allen Lebensbereichen ganz von innen kommt.
Die Angst vor Kontrollverlust erzeugt oft die Vorstellung, man müsse ein Ideal erfüllen oder Perfektion in dem ein oder anderen Bereich erlangen, um sich vor Verlust-Erfahrungen zu schützen oder um das anziehen zu können, was man sich wünscht. Solange man den vollkommenen Idealzustand nicht erreicht hat, scheint das eigene Glück stets bedroht oder die Erfüllung von Wünschen aussichtslos. Diese Vorstellung erzeugt Frustration und Traurigkeit und führt oft dazu, dass man sich selbst sabotiert und nicht mehr die nötigen Schritte unternehmen kann, um zum Erfolg zu gelangen. Dabei hat man diese missliche Lage selbst zu verantworten, weil man sich auf irgendeine äußere Idee der Vollkommenheit fixiert hat, um sich nicht mit den wahren Voraussetzungen für vollkommenes Glück und mit der eigenen Psyche auseinandersetzen zu müssen. Es erscheint bequemer, sich auf die vollkommene Ausübung seines Berufs oder seiner Kunst oder auf körperliche Vollkommenheit zu konzentrieren – bis sich mehr und mehr zeigt, dass diese äußerliche Vollkommenheit nie erreicht werden kann. Vollkommenheit bleibt immer eine meditative, rein innere Erfahrung, die sich einstellt, wenn man seelische Qualitäten losgelöst von den konkreten Umständen ihrer irdischen Manifestationsmöglichkeiten erspürt. Sie findet sich in der Welt der reinen Ideen, Empfindungen und Energien. In den konkreten Situationen des Lebens aber werden diese immer durch psychische und physische Faktoren beeinträchtigt. So gibt es die vollkommene Liebe zwar auf der Seelenebene, aber nicht im konkreten Beziehungsalltag zwischen Menschen. Wer diese Tatsache zu akzeptieren lernt, kann aufhören, nach unerreichbaren Idealen zu streben.
Stattdessen kann er ein anderes Ideal für sich entdecken: Die stetige Vervollkommnung seiner Fähigkeit, die seelische Ebene, die bereits vollkommen ist, durch seine Persönlichkeit zu „kanalisieren“ beziehungsweise durch sich hindurchstrahlen zu lassen. Dies verlangt nach der Fähigkeit, sich seinen Gefühlen und seiner Innenwelt ganz hinzugeben. In diesem Bereich muss Hingabe die Kontrolle ablösen, damit man sich selbst spüren und sich authentisch zum Ausdruck bringen kann. Dann befindet man sich in der richtigen Schwingung, um das Glück anziehen und auch auskosten zu können. Vollkommenes Glück kann dann in „Gipfelerlebnissen“, in denen die seelische Energie frei fließen kann, ein Teil der Lebenswirklichkeit werden.
Die Angst vor Sinnlosigkeit erzeugt oft die Vorstellung, die Möglichkeiten für das Erleben von Glück, Selbstverwirklichung und beglückenden Gefühlsaustausch seien ebenso begrenzt wie die materiellen Ressourcen des Erdenlebens. Glück kann demnach nicht unbegrenzt wachsen – man muss mit dem Glück haushalten oder um es konkurrieren. Nur wer die besten Voraussetzungen für Beziehungsglück und die Verwirklichung seelischer Träume mitbringt, darf auf Erfüllung seiner Wünsche hoffen. Diese Voraussetzungen werden beispielsweise in Attributen wie Klugheit, Schönheit, Geschicklichkeit oder Kommunikationstalent gesehen. Tatsächlich aber liegen die Voraussetzungen für das Glücklich-Sein nur in der eigenen Psyche. Das Glück kann immer nur so groß werden, wie die Psyche es erlaubt. Jeder Mensch wird im Außen auf die Dinge, Menschen und Aufgaben stoßen, die zu seiner Innenwelt passen. Jede Begabung findet ihre Entsprechung im Außen und die zu ihr passenden Aufgaben – doch ob eine Begabung einen Menschen glücklich oder unglücklich macht, hängt davon ab, ob er innerhalb seiner Psyche die richtige Einstellung entwickelt, um sie glückbringend zu verwirklichen. Deshalb ist es unmöglich, durch Anstrengungen der Selbstoptimierung die Fähigkeit zum Glücklich-Sein zu erwerben. Glück ist in jedem Augenblick zugänglich. Es kommt nur auf die richtige Einstellung an. In jedem Augenblick kann man sich für Offenheit, geistige und emotionale Präsenz, Wachheit und Teilnahme am energetischen Geschehen entscheiden. Glück ist insofern nicht mit dem Erreichen von Zielen identisch. Es bedarf aber einer eindeutigen Absicht, damit die Konzentration und die eigene Energie in einer beglückenden Weise gelenkt werden. Dem steht die Absicht der Selbstoptimierung entgegen, da sie Gefühle von innerem Mangel, von Konkurrenzkampf und von Anstrengung hervorruft. In diesem Zustand kann man nicht frei und glücklich sein.
Die Fähigkeit zum spontanen Glücklich-Sein ist auch nicht an die persönliche Reife oder den spirituellen „Entwicklungsstand“ eines Menschen gebunden – sie kann durch Weisheit und Spiritualität lediglich erleichtert werden. Wer also mehr unmittelbares Glück in sein Leben bringen will, sollte sich am besten der Erforschung eben dieses Zustands achtsam widmen, um ihm mehr Raum zu geben. Die Freude an langfristigen Zielen bleibt dennoch bestehen und wird sogar größer, wenn das Glück im täglichen Leben zunimmt.
Die Angst vor Integritätsverlust erzeugt oft den Wunsch, schöner, klüger und kompetenter als alle anderen zu sein. Man glaubt, dass man sich dadurch vor unliebsamen Erfahrungen schützen könne und die gewünschten Erfahrungen leicht anziehen könne. Menschen mit dieser Vorstellung haben aber nie genau studiert, was einen glücklichen Menschen, der fast nur schöne Erfahrungen anzieht, wirklich ausmacht. Was ein innerlich glücklicher Mensch, der ein anspruchsvolles und zugleich freudvolles Leben führt, den meisten anderen voraus hat, liegt nicht auf der Ebene der definierbaren Schönheit oder Kompetenz. Seine besondere Schönheit und Kompetenz liegt auf einer rein inneren Ebene, die mit Wahrhaftigkeit, Selbsterkenntnis, Liebe und Hingabe an seelische Absichten zu tun hat. Wer dauerhaft eine solche innere Ausrichtung hat, erlangt große Klarheit, Ausstrahlung und Lebensbewältigungskompetenz. Wer hingegen auf Selbstoptimierung ausgerichtet ist, vergrößert seine Angst und seine Frustration. Er zieht nämlich durch seine ständige Konzentration auf den Eindruck, den er erwecken sollte und auf die Art, wie er sich selbst präsentiert, erst recht unliebsame Erfahrungen an. Durch diese innere Ausrichtung verstrickt er sich in die negativen Persönlichkeitsenergien anderer Menschen und trennt sich von ihnen auf der Seelenebene. Die Verbundenheit mit anderen auf Seelenebene kann nur erlebt werden, wenn man auf jede „Selbstaufblähung“ durch Überlegenheitsgefühle verzichten kann. Auf der Seelenebene gibt es kein Bedürfnis nach Überlegenheit – es gibt nur ein Streben danach, denjenigen zu helfen, denen man bereits einen Entwicklungsschritt voraus ist.
Wer sich auf Authentizität und seelische Verbundenheit mit anderen konzentriert, kann wirklich helfen und viel bewirken, weil er die Absichten anderer richtig einschätzt und erkennt, wo er sich einbringen kann. Ein solcher Mensch zieht durch seine Ausstrahlung ganz von selbst gute Gelegenheiten an und hält destruktive Energien von sich fern. Entscheidend für das, was man erlebt und wie man es erlebt ist die Schwingungsebene, auf der man sich aufhält.
Die Ideologie als Kompensationsversuch:
Wenn sich die Menschen von ihren Ängsten ablenken wollen, wenden sie sich gern Ideologien der Selbstoptimierung zu, denn sie versprechen Lösungen durch den Einsatz von Willenskraft. So will man sich von der Angst und den Gefühlen der Machtlosigkeit befreien. Man will die tieferen metaphysischen Ebenen nicht beschreiten, in denen der wahre Ursprung von Angst und von Glück liegt. Die Beschäftigung mit Selbstoptimierung und die damit verbundenen Erfolgserlebnisse können der Persönlichkeit zeitweise ein trügerisches Gefühl von Sicherheit und Fortschritt geben. Doch umso größer wird der „Sturz ins Bodenlose“ oder auch die immer stärker nagende Unzufriedenheit, wenn die Lebensumstände oder die eigenen Gefühle und die Gesundheit beweisen, dass die Rechnung nicht aufgeht. Es stellt sich heraus, dass die Dinge, denen man so eine überragende Bedeutung für das eigene Lebensglück zugeschrieben hat, tatsächlich eine eher nebensächliche Bedeutung haben. Zudem ist es wahrscheinlich, dass die irrationale Überbetonung dieser Dinge einen in eine destruktive Richtung und in unglückliche Verhältnisse getrieben hat.
Wenn Schönheit, Fitness und äußere Attraktivität zu einer Beschäftigung wird, die einen von der Erforschung wahrer Attraktivität abhält, wird man kein Gefühl für die eigene Attraktivität und keine echte Freude am Körper erlangen. Wohlbefinden, Spaß und Genuss bleiben aus. Stattdessen wird man durch die kollektiven Schönheits- und Fitnessideologien immer stärker verunsichert: Werbebotschaften, Modezeitschriften und Bilder aus der Glamour-Welt vermitteln einem schnell Minderwertigkeitsgefühle, obwohl allgemein bekannt ist, dass diese Welt alles andere als natürlich ist, sondern beherrscht von Make-Up, Silikon und Tricks. Viele Menschen, insbesondere Frauen, eifern dann in ihrer Verzweiflung diesen künstlichen Vorbildern nach und legen sich lieber unters Messer, als sich selbst zu lieben, wie sie sind. Dadurch wird der Druck zusammen mit der Messlatte aber immer höher. Nicht die Zufriedenheit mit dem Aussehen steigt, sondern der Anspruch, den die Allgemeinheit an einen wohlgeformten, schönen und attraktiven Körper stellt. Es wird immer schwerer, diesen Anspruch zu erfüllen. Umso kritischer blicken die Menschen schließlich auf andere, die irgendeinen „Makel“ haben und vermitteln diesen dann Minderwertigkeitsgefühle, um sich von den eigenen entsprechenden Gefühlen abzulenken. Wenn Frauen oft das Gefühl haben, hässlich zu sein, liegt es an einer allgemeinen Atmosphäre der kritischen gegenseitigen Betrachtung, wobei man sich gegenseitig durch meist telepathische negative Botschaften heruntermacht. Wer selbst aus dieser Spirale aussteigt und sich auf die von innen kommende Schönheit konzentriert, wird nicht mehr vom Neid und von den negativen Botschaften über sein Äußeres beeinträchtigt.
Noch stärker verbreitet als der Schönheitswahn ist in der westlichen Welt der Leistungswahn. Dieser ist eine höchst „produktive“ Allianz mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem eingegangen: Die kapitalistische Wirtschaft muss immer weiter wachsen, damit ihr Ungleichgewicht (beziehungsweise die permanente Vermögensumverteilung zugunsten einiger weniger Reicher) nicht dazu führt, dass das System zum Erliegen kommt. Das bedeutet, dass die Menschen immer mehr leisten müssen und immer mehr und effektiver produzieren müssen. Das Streben nach Leistungssteigerung kommt aber primär von innen – von der Vorstellung, dass den Leistungsfähigsten am meisten Glück zuteil wird. Glück scheint nur einigen wenigen beschieden zu sein. Deshalb muss man sich umso mehr anstrengen, um zu diesen Wenigen, den Leistungsfähigsten beziehungsweise den „Leistungsträgern“ der Gesellschaft zu gehören. Unter Top-Managern kursiert ein besonderer Stolz in Bezug auf die durchschnittlich geleistete Wochenarbeitszeit: Wer vollständig ohne Privatleben und ohne Freizeit auskommt, gilt anderen als Vorbild. Aber die Leistungssucht ist ebenso in der breiten Masse verankert. Nicht nur im Berufsleben muss man Höchstleistung bringen und ununterbrochen konzentriert und effektiv sein, sondern danach muss noch die Wohnung auf Hochglanz gebracht oder der eigene Körper auf Hochtouren gebracht oder das Familienleben perfekt „gemanagt“ werden… Die steigende Zahl der Burn-Out-Ausfälle ist nur die Spitze des Eisbergs des ununterbrochenen Hochleistungsdrucks, der auf einem großen Teil der Bevölkerung lastet. Auch in der Schule nimmt er natürlich zu und es muss immer mehr Stoff in immer weniger Zeit bewältigt werden. Die Leistungsideologie erzeugt also ähnlich wie die Schönheitsideologie einen immer höheren Anspruch, den die Gesellschaft an den Einzelnen stellt. Je mehr die allgemeine Leistungsbereitschaft steigt, umso größer werden auch die Leistungsanforderungen – in allen möglichen Bereichen. Die Verhältnisse passen sich also den kollektiven Denkweisen an und erzeugen eine Welt, die diesen Glaubensvorstellungen entspricht. Dennoch geht die Rechnung am Ende nicht auf, denn glücklich werden weder die Leistungsschwachen noch die „Starken“. Das Glück flieht jeden, der in einer krankmachenden Leistungsmaschinerie gefangen ist. Bis jemand zu dieser Einsicht gelangt, kann es allerdings lange dauern. Die Leistungsgesellschaft spornt nämlich nicht zum Nachdenken an, sondern nur zur Beschleunigung, um all die vermeintlichen Schwächen, die dem Erfolg im Wege stehen, auszugleichen oder zu beheben. Nur wer Abstand zu dieser Ideologie gewinnt, dem wird schnell klar, dass es sich hier um ein Fass ohne Boden handelt. Weil jeder um den Erfolg kämpft und seinem Nachbarn den Erfolg vergönnt, kursieren auch zahlreiche kollektive Felder des Anspruchsdenkens, wonach man nie erfolgreich genug sein kann, um sich auch erfolgreich fühlen zu dürfen. Es gibt schließlich immer irgendetwas, was noch fehlt. Wer aus dieser Spirale aussteigt, hinterfragt seine Ansprüche an sich selbst und an sein Leben und beginnt, eigene individuelle Ansprüche aufzustellen. Vielleicht würdigt er dann die Ansprüche seiner Seele, die Ruhe, Entspannung, Ganzheitlichkeit und echtes Glück verheißen.
Die Dynamik des Wandels:
Das Streben nach Selbstoptimierung erzeugt Ungleichgewichte. Weil Wachstum und Entfaltung auf etwas Objektivierbares im Außen bezogen wird und nicht auf die Seele, entsteht Stress. Nur die Seele selbst beziehungsweise das System aus Seele, Psyche und Bewusstsein kann und soll auch permanent wachsen und sich entwickeln. Der Körper und die eigenen Lebensumstände befinden sich zwar ebenfalls in einem ständigen Entwicklungsprozess, aber nicht auf eine objektivierbare und perfektionierbare Weise. So kann es durchaus im Sinne der seelischen Entfaltung sein, dass ein „perfektes Leben“ zerbricht und jemand sich äußerlich betrachtet in einem Scherbenhaufen befindet. Das Glück der Seele liegt nicht in irgendeiner Art von Perfektion, sondern in Wachstumsgelegenheiten, in denen sich ihre lebendigen Qualitäten verwirklichen können. Selbstoptimierung ist immer ein Streben, das nicht von lebendigen seelischen Qualitäten getragen ist: Es entspringt nicht der Liebe und nicht der Freude am Sein, sondern der Angst. Wenn Selbstoptimierung scheitert, hat der Mensch eine Gelegenheit, die Liebe und die Freude (wieder) zu entdecken. Denn Liebe und Freude sind Zustände, die trotz äußerer Unvollkommenheiten erlebt werden können. Sie haben mit äußerer Vollkommenheit nichts zu tun. Selbst ein Rollstuhlfahrer kann im Rollstuhl tanzen und dabei die pure Freude an der Bewegung erleben. Es ist die innere Einstellung, die Glück erzeugt oder Glück zunichte macht.
Diese Erkenntnis erlangen immer mehr Menschen, die durch Burn-Out und andere scheinbare Schicksalsschläge aus ihrem bisherigen Lebenszusammenhang herausgerissen werden und die beim Kampf um Schönheit, Leistung und Erfolg nicht mehr mithalten können. Nach einer kürzeren oder längeren Phase der Neuorientierung erkennen sie, dass sie diese Spiele auch gar nicht mehr spielen wollen. Viele entdecken ein neues Spiel – eines, das Wachstum im Inneren anstrebt. Sie wenden sich vielleicht Dingen zu, denen die kollektiven Überzeugungen bisher wenig Wert beimessen. Diese Dinge geben ihnen innere Erfüllung und ein Gefühl von Sinn, auch wenn sie von der Gesellschaft kaum anerkannt werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass solche Menschen durch ihre glückliche Ausstrahlung und ihren inneren Frieden wie Magnete für ihr Umfeld werden, die andere darin unterstützen, sich neu auszurichten. Sie strahlen Seelenqualitäten aus, die in anderen Menschen verschüttet sind, aber wieder zum Leben erweckt werden können. Indem sie die kollektiven Optimierungsideologien einfach ignorieren, beweisen sie die Nichtigkeit dieser Ideologien. Jeder Einzelne, der ein kollektives Glaubenssystem nicht teilt, ist bereits ein lebendiges Gegenbeispiel dazu; er verkörpert eine alternative Wahrheit.
Je mehr die Menschen unter dem absurden Stress leiden, den ihre Glaubensvorstellungen ihnen auferlegen, umso größer wird langsam das Interesse an alternativen Werten. Wer kurz vor dem psychischen Zusammenbruch steht oder diesen bereits hinter sich hat, ist wahrscheinlich bereit, seine Einstellung zu hinterfragen oder sich auf die Suche nach echtem Gleichgewicht zu machen. Es gibt immer einen Teil im Menschen, der die Wahrheit kennt. Die psychischen Verhältnisse spiegeln sich in den äußeren Verhältnissen wieder. So gibt es derzeit einerseits einen zunehmenden Optimierungsdruck, aber andererseits auch zunehmende Klagen darüber und zunehmenden freiwilligen oder unfreiwilligen Ausstieg. Das zeigt sich im Anstieg der stressbedingten psychosomatischen Störungen und Erkrankungen. Die Belastungen der Leistungsgesellschaft spitzen sich in allen Bereichen zu, während gleichzeitig auch immer mehr Menschen aus dieser „Leistungsmaschinerie“ herausfallen. Freiwillig oder unfreiwillig führen sie ein Leben jenseits der gesellschaftlichen Norm, jenseits „normaler“ familiärer Verpflichtungen, „normaler“ Arbeitsverhältnisse, „normaler“ Lebensläufe und „normaler“ Wohnverhältnisse – so lange, bis das Normale selbst zur Ausnahme wird. Es scheinen also chaotische Verhältnisse in den ehemals „gut geregelten“ Bereichen gesellschaftlichen Lebens zuzunehmen. Die Ungleichgewichte, die die alten Werte erzeugt haben, sind mit der Zeit einfach zu groß geworden und haben das Maß des Erträglichen überschritten. Das zunehmende Chaos ist allerdings kreativ, und es entstehen daraus viele brauchbare neue Wege für eine neue Arbeits- und Lebenskultur, eine tolerantere und ehrlichere Beziehungskultur, für eine menschenfreundlichere und umweltfreundlichere Lebenshaltung und für Nachhaltigkeit und eine Neubesinnung auf innere Werte. Dieser Neuorientierungsprozess, der schon seit einiger Zeit im Gange ist, nimmt viel Zeit in Anspruch. Während einerseits noch viele Menschen in den alten Strukturen „funktionieren“, stellen gleichzeitig immer mehr Menschen fest, dass eben diese Strukturen für sie nicht mehr funktionieren. Sie erschaffen sich neue Umstände, die ihren Herzenswünschen und ihren Seelenbedürfnissen besser gerecht werden.
Aus dem Buch „Gesellschaftlicher Wandel durch individuelle Transformation“ von Monika Mahr – 2014